Die Gemeinde Rondeshagen

 

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Berend Voß berichtet über seine Mutter Thea, Lehrerin in Rondeshagen 1943-1966
 
 
Thea Voß 1962 vor der Rondeshagener Schule
 

Thea Voß hatte 1943 zwei Kinder, Berend (6) und Günter.(7). Berend Voß schickte mir 2011 einige Ergänzungen zum Leben und Wirken seiner Mutter Thea. Der Vater war damals Soldat in der Wehrmacht in Griechenland. Bernd Voß beschreibt mit einer "vielleicht etwas sentimentalen – Erzählung zur Darstellung meiner allerersten Begegnung mit Rondeshagen."

Er schreibt: " Im Juli 1943 durften mein älterer Bruder Günther ( 7 J.)  und ich ( 6 J.) uns ein paar Tage bei meiner Großmutter in Sirksfelde aufhalten. Eines Tages traf dort eine Postkarte von unserer Mutter ein, in der sie meiner Großmutter mitteilte, daß der Umzug nun vollzogen und die neue Wohnung eingerichtet sei, so daß die Kinder jetzt auch ins neue Heim einziehen könnten.
Das sah dann so aus, daß wir am nächsten Morgen in Begleitung meiner Großmutter auf Sandwegen von Sirksfelde nach Lüchow und dann weiter nach Labenz marschierten, wo es eine Busanbindung nach Lübeck gab. Dort löste unsere Großmutter zwei Fahrscheine und gab dem Busfahrer Anweisung, uns in Bliestorf abzusetzen. Dies tat er, nach dem er uns kurz vor der Haltestelle noch auf die Abzweigung nach Rondeshagen hingewiesen hatte. Wir gingen also das Stück zurück, und bogen dann  in den Sandweg ein. Nach einer Weile glaubten wir, wir seien schon stundenlang unterwegs, und da die Knicks und die Alleebäume in vollem Laub standen, kamen wir uns vor wie im finsteren Wald. Doch wir wußten, daß wir keinen Fehler gemacht hatten, und also mußte es weitergehen. Als nach weiterer Strecke immer noch kein Ende abzusehen war, wurde uns doch ein wenig mulmig, so daß uns Angst und Resignation erfaßte, und wir kamen uns nun mittlerweile vor wie Hänsel und Gretel im finsteren Wald. Wir setzten uns an den Knickwall und verdrückten erst einmal ein paar Tränen. Das Märchen-Szenario fand seine Fortsetzung im Auftritt der obligatorischen Fee in der Gestalt eines größeren Mädchens. Sie bemerkte unsere Not und fragte nach der Ursache unseres Kummers. Wir erzählten, daß wir unterwegs nach Rondeshagen seien, wo wir von unserer Mutter erwartet würden. Das Mädchen war Gerda Huckfeld, und als betroffene Schülerin war sie natürlich über die Sache mit der neuen Lehrerin informiert. Sie nahm uns unter ihre Fittiche, und nun wanderten wir erstmal wieder ein gutes Stück in Richtung Bliestorf. Irgendwo unterwegs öffnete sie ein Hecktor und trieb ihre Kühe auf die Straße. So zogen wir dann zu dritt gemächlich hinter den Kühen her in Richtung Rondeshagen. In einer Staubwolke erreichten wir die ersten Häuser, und während sie ihre Kühe noch zum Dorfteich trieb, zeigte sie uns das Schulhaus. Verständlich, daß nach diesem Abenteuer auf beiden Seiten große Freude und Erleichterung herrschte, als nun unsere Mutter uns in die Arme schließen konnte. Das sollte der Start in einen  neuen Lebensabschnitt werden.
"

"Der erfolgte Umzug hatte von Schönberg in Mecklenburg her stattgefunden, wo die Familie gewohnt hatte, während meine Mutter als Lehrerin in Lübeck-Moisling tätig war. Mein Vater war zu diesem Zeitpunkt als Soldat in Griechenland im Einsatz.

Thea Voß ist im Jahre 1902 als 11. Kind des Gudower Lehrers Karl Behrends und seiner Frau  Anna Behrends geboren. Nach dem Besuch der dortigen Schule und später des Lyzeums und der Lehrerbildungsanstalt in Bad Segeberg machte sie ihren Abschluß gerade in einer schwierigen wirtschaftlichen Situation (Inflation), in der an eine Anstellung im Schuldienst nicht zu denken war. Sie war daher viele Jahre Hauslehrerin in Ostholstein. Im Jahre 1934 heiratete sie Robert Voß, dessen Eltern beide aus Krummesse stammten. Robert Voß war ebenfalls Lehrer, hatte aber - betroffen von den gleichen Einstellungs-Schwierigkeiten -zusätzlich noch die Ausbildung zum Buchhalter gemacht. Als solcher war er von 1939 bis 1943 in der Munitionsfabrik in Lübeck-Schlutup tätig, und ab 1943 als Soldat in Griechenland eingesetzt.


In dieser Zeit hatte Thea Voß ihre Tätigkeit als Lehrerin wieder aufgenommen, die sie nach der Geburt des ersten Sohnes 1935 aufgegeben hatte.
Die erfolgte Versetzung nach Rondeshagen im Sommer 1943 hat sie immer als großen Glücksfall empfunden, denn die Arbeit mit Schülern aller Altersstufen – wie in kleinen Dorfschulen üblich – entsprach genau ihren Vorstellungen von erfolgreicher Pädagogik.
Ob das so eingetroffen ist, mögen die Schüler und  deren Eltern beurteilen, ich selber habe dies nur für anderthalb Jahre erlebt. Details ihrer beruflichen Laufbahn zeigen die anhängenden Notizen, die wir vor ein paar Jahren im Kreisarchiv anläßlich einer Einsichtnahme in die Rondeshagener Schulchronik für uns angefertigt haben.

  Thea Voß im Jahre 1954 in der Schmiede: Kinderfest  
  Leben von Lehrerin Thea Voß  
 

Eine sehr schwere Zeit für Frau Voß waren die Jahre 1945 bis 1947. Nach dem Kriegsende wohnten 4 Flüchtlingsfamilien zusätzlich mit in der Lehrerwohnung und dazu etwa 50 Flüchtlinge in der Schulklasse, die im Laufe der Monate nach und nach in Privatquartieren untergebracht wurden.
Sie fühlte sich für alle und alles zuständig und verantwortlich.

Unterricht fand unter den Umständen natürlich nicht statt, und das Dienstverhältnis war unterbrochen.
Im Spätherbst 1945 kam vom Schulamt die Mitteilung, daß sie zunächst nicht wieder übernommen wird, obwohl sie nicht in der Partei gewesen war.
Die Auswirkungen waren: kein Einkommen, Verlust der Lehrerwohnung und des dazugehörigen Gartens und das mit der Verantwortung für 4 Kinder und der Ungewißheit über das Schicksal ihres Mannes, dessen letztes Lebenszeichen aus dem März 1945 stammte. Erst im Dezember 1945 erhielt sie die erste Nachricht aus einem Gefangenenlager in Jugoslawien

Dank der Unterstützung und dem Wohlwollen seitens der Verwandtschaft und der Dorfgemeinschaft konnte das Nötigste für den Lebensunterhalt aufgebracht und eine Ersatzwohnung gefunden werden.
Die Wogen glätteten sich, als sie im Frühjahr 1947 als Lehrerin wieder übernommen wurde,
wobei ihr Einsatz für eine Stelle in Rondeshagen nicht dauerhaft garantiert war. Auf die Entlassung ihres Mannes aus der Kriegsgefangenschaft mußte sie noch bis Weihnachten 1948 warten.

Nach der Pensionierung im Jahre 1966 zogen Robert und Thea Voß nach Mölln um, in das von den Eltern geerbte Haus. Dort war Frau Voß in verschiedenen kirchlichen Gruppen engagiert, und gemeinsam haben sie viele Reisen mit dem Geschichtsverein in alle Himmelsrichtungen unternommen. Sie haben sich über jede Art von Besuch gefreut,  Freunde, Bekannte, Verwandte und – insbesondere – die Kinder in Begleitung der Enkel.
Bis 1987 war es ihnen gesundheitlich möglich, den Haushalt allein zu führen und den eigenen Garten zu pflegen. Als Frau Voß jedoch erneut an Krebs erkrankte, bezogen sie auf  Rat und Drängen ihres jüngsten Sohnes hin die Einlieger-Wohnung in dessen Haus in Hermannsburg.

In Hermannsburg sind meine Eltern dann beide im Jahre 1989 verstorben und –unter Teilnahme etlicher Rondeshagener - auf dem dortigen Friedhof beigesetzt..

 
     
 
Schreiben des Beauftragten für Flüchtlingswesen 1951, hier: die erneute Einstellung in den Schuldienst
 
   
 

Der Beauftragte für das Flüchlingswesen der Gemeinde Rondeshagen
Rondeshagen,den 28.September 1951

Es ist hier bekannt geworden, daß Frau T h e a V 0 ß sich um ihre fes t e Anstellung bei der Schulverwaltung bemüht. Wenn die anständigen Taten eines Menschen eine Empfehlung
tür seine Eignung sein können, 80 hat Frau V 0 ß soviele Empfehlungen vorzuzeigen, daß ein Entscheidung über ihren Wunsch nicht schwer fallen wird.

Als 1945 die Schule in Rondeshagen zum 'Massenlager für Flüchtlinge eingerichtet wurde, hat Frau V 0 ß ,die in der Dienstwohnung der Schule wohnte , mit allen Kräften dafür gesorgt, daß die Not gelindert \wurde, soweit sie sich lindern ließ. Sie rückte mit iLhren, vier Kindern auf allerengstem Raum zusammen um vor allem für die alten Leute einen bequemeren Platz zu schaffen. Ihr Eigentum -'Haushalt, Betten, Wäsche, Bekleidung stellte sie ganz selbstverständlich zur Verfügung. Durch ihre Tatkraft sorgte sie in,"dieser Zeit, daß hier im Ort abstellbares Elend auch abgestellt "wurde. Als im Sommer 1945 in der Massenunterkunft sich Typhusfälle zeigten, wurde es Frau Voß frei gestellt mit ihren Kindern während der Quarantänezeit wo anders hinzuziehen.

Es war für selbstverständlich bei i h r e n Flüchtlingen zu bleiben, obgleich dieser Entschluß für sie als Mutter von vier Kindern nicht einfach gewesen sein wird. Durch das . große Ansehen und die Beliebtheit, die Frau Voß bei der ganzen Bevölkerung im Ort hat, wurde die Durchführung der notwendigen Hilfmaßnahmen in dieser Zeit zu einer herzlichst und gerne
getanenen Aufgabe. Bei der Auflösung der Massenunterkunft hat dann Frau VoB ihren Haushalt bis zum äußersten eingeschränkt und die umgelegten Flüchtlingsfamilien mit Möbeln, Wäsche, Betten und Geschirr ausgestattet, soweit sie es nur konnte.

Es waren nicht nur diese zahllosen Einzeltaten die Frau Voß vor allem für die jüngeren Flüchtlingsfrauen und -mütter unentbehrlich machte, sondern ihre große M ü t t e r l i c h k e i t mit der sie immer Rat und Trost schaffte.

Durch ihren Einfluß und ihr WirKen als Mensch und Lehrerin hat sie soviel zur gegenseitigen Verständigung zwischen Neu- und Altbürgern getan, daß hier im Dorf jeder sich über die Erfüllung ihrer
Wünsche und Pläne freuen würde, nur hergeben und eventuell die Lehrerin für unsere Kinder verlieren, das möchten wir alle nicht.

Theo Römer